Besetzer-Science-Faction


Ein Film, der sich sowohl mit seiner historischen, als auch gesellschaftlichen Funktion als Teil medialer Öffentlichkeit auseinandersetzt, ist «Zafferlot» (Andreas Berger, 1985/86).


«Bei Ausgrabungen im Berner Mattenhofquartier stiessen Archäologen auf eine S-8-Filmrolle, die noch aus dem letzten Jahrtausend stammt. Anhand von Gummigeschossen, die in der Nähe des Filmmaterials gefunden wurden, konnte festgestellt werden, dass die etwas wirren Bilder in den Jahren 1985 und 1986 entstanden sein müssen.»


Mit diesen einleitenden Sätzen verweist der Film von der ersten Einstellung an auf seinen dokumentarischen Wert, gibt zugleich aber auch unmissverständlich zu verstehen, dass er nicht unbedingt dem entspricht, was gemeinhin unter einem klassischen Dokumentarfilm verstanden wird. Denn der Super-8-Film des Berner Filmemachers und einstigen AJZ-Aktivisten Andreas Berger über die Ereignisse rund um das im Mai 1984 besetzte Wohn- und Jugendhaus «Zaff» ist kein gewöhnliches Besetzerporträt. Der Kurzfilm schildert nicht nur die Wünsche und Nöte der Jugendlichen und deren Unzufriedenheit mit den gegebenen Verhältnissen, sondern artikuliert sich selbst als Mittel zum Protest. In einer wilden Collage aus dokumentarischen und inszenierten Aufnahmen, Comic-Strips, gefälschten Zeitungsartikeln sowie Film- und Fernsehzitaten geraten städtische Behörden, Häuserspekulanten und polizeiliche Kontrollinstanzen ins satirische Kreuzfeuer der Kritik und mit ihnen auch die biederen, sensationslüsternen Massenmedien: In den Qualm und Staub des Abrissbaggers mischt sich ein blutrünstiger weisser Hai, Demonstrierende flüchten vor Tränengas und irgendwo in Amerika schiesst ein eleganter Actionheld auf das Auto zweier Polizisten.


Mit Montagen wie diesen positioniert sich Bergers «Science-Faction-Film», wie der Untertitel des Films lautet, selbst als Teil der medialen Öffentlichkeit, allerdings als deren Kehrseite – in Opposition zu der verhassten, «Mehrheiteweltbülder», «hohli Usgwogeheit» und «graui Luschtlosigkeit» erzeugenden Massenkultur, die in «Zafferlot» vor allem durch das Fernsehen und die Boulevardmedien vertreten werden. Bergers satirische Kritik verschont aber auch die eigene Gattung nicht: Wenn in einer der gestellten Interviewszenen über das «letschte Pack» geschimpft wird, das «nid emal die Kosmonischte oder Konsumischte oder wie die heisset z'Moskau bruche chöi, nid war ...», dann nimmt «Zafferlot» nicht nur die Passanten aufs Korn, die er imitiert, sondern auch das klassische Repertoire des Besetzerfilms, das solche Szenen mit in Umlauf gebracht hat. Bergers chaotische und unterhaltsame Mediensatire verweist also einerseits ironisch auf die kommerzielle Massenkultur, andererseits aber auch auf sich selbst und hält damit, was sein Untertitel verspricht: zugleich science, fact, fiction und action zu sein.


Julia Zutavern im Aufsatz «Anstiftung zum Stadtfriedensbruch: Der Besetzerfilm» im Buch «Cinema 54: Stadt», Schüren Verlag 2009. www.cinemabuch.ch